Ich lese, also weiss ich, also bestimme ich
Neulich war ich in der Buchhandlung. Ich liebe es, mich dort zu verweilen. Während meine Hunde gemütlich dem Nichtstun frönen, lese ich mich querbeet durch die Neuerscheinungen in der Hundewelt. Ab und zu schaut eine meiner Hundedamen kurz auf, vergewissert sich, dass ich noch da bin, schnauft genüsslich aus und legt den Kopf wieder auf die Pfoten ab. Ich lese weiter und merke, wie mein Geist sich mehr und mehr verirrt, respektive verliert in all den Ratgebern und Fachbüchern über die Hundeerziehung. Dabei wollte ich mich nur kurz Updaten, was denn so auf dem kynologischen Fachwissensmarkt aktuell ist.
Wenn es mir als Fachperson schon so ergeht, wie muss sich da ein/e ErsthundehalterIn fühlen, die/der motiviert und guter Dinge eine Unterstützung in gebundener Form sucht, um sich auf die ersten Wochen mit ihrem/seinem neuen vierbeinigen Freund vorzubereiten? Was mich aber noch viel stärker beschäftigt, ist diese definierte Art von «Sitz – Platz – Fuss Erziehungsratgebern», die dem Neuhundehalter suggerieren, dass das wichtigste im Leben eines Welpen ist, diese 3 genannten Begriffe in den ersten Wochen seines neuen Lebens intus zu bekommen. Ansonsten wird nie was aus DEM werden und die Erziehung gerät sowieso in Schieflage. Und wenn man sich dann noch vollends verunsichern möchte, geht man ins Netz oder auf Sendung und zieht sich unzählige Profi- Tipps zur Welpen- oder Junghundeerziehung rein. Als Krönung schliesslich noch das Neueste von Sixx, wo gezeigt wird, wie der Welpe in einem fiktiven Wohnzimmer mit Teppich und Sofa das kleine 1 x1 gelernt bekommt. Ja, und auch dort gibt es die Schlauen und die Dummen und glücklich ist der Mensch, wenn sein Vierbeiner zu den Strebern gehört und der Hundetrainer beim Abholen aus dem Kindergarten seine Anerkennung für den tollen Sprössling lobend zum Ausdruck bringt, während der grosse Dicke in der Ecke selig den Unterricht verschlummert hat. Bleibt offen, welcher Welpe denn nun zufriedener ist.
Ich frage mich, in welcher Welt wir leben, wo die eigene Intuition und das Bauchgefühl für die Bedürfnisse und aktuellen Möglichkeiten des eigenen Welpen oder Junghundes neben all dem Wissen auf der Strecke bleibt.
Ich würde mir viel eher wünschen, dass die Menschen, BEVOR sie sich einen Hund kaufen, an ihren Kernkompetenzen arbeiten, ihre motorischen und koordinativen Fähigkeiten trainieren, ihre Beobachtungsgabe schärfen, ihre Eigenwahrnehmung schulen, ihre Intuition stärken, ihre Selbsteinschätzung aktualisieren, sich ihrer finanziellen und zeitlichen Möglichkeiten bewusst sind, sich in ein anderes Lebewesen hineinversetzen können, auch mal gewillt sind, das eigene Ego kürzer treten zu lassen und die ihren Emotionen nicht in jedem Fall freien Lauf lassen. Und das wichtigste überhaupt: die von ganzem Herzen gewillt sind, sich auf so ein tolles Lebewesen einzulassen, auch an seiner Seite zu sein, wenn es mal nicht so rosig läuft. Und die sich getrauen, sich selber ab und zu zu hinterfragen und sich nicht als den Nabel der Welt zu betrachten, nur weil sein Vierbeiner nicht dieselben Bücher gelesen hat.