
Wie viel Zeit hast du dafür investiert? Ich bin überzeugt, dass du dich mehr als zwei Stunden mit dem Kauf auseinandergesetzt hast. Mit dem Auto warst du mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrmals Probefahren. Sogar Ski hast du im Skigebiet testen können. Und auf dem E-Bike bist du hundertpro länger als 15 Minuten durch die Gegend gekurvt.
Und jetzt stellt dir einfach vor, dass der Kauf eines Hundes aus dem Auslands-«Tierschutz» weniger Zeit in Anspruch nimmt, als die oben erwähnten Anschaffungen.
Du entdeckst beim Durchstöbern der einschlägigen Tierlikaufen-Seiten, oder wie sie alle heissen, einen Hund, der im nahen Ausland auf seinen lieben Menschen wartet.
Der Hund ist familienfreundlich, kann gut mit Kindern, isst alles, was in den Napf kommt, hat keine Macken, ausser dass er Rüden doof findet, und möchte nichts anderes als seinem neuen Menschen jeden Wunsch von den Augen ablesen. Schliesslich ist er sehr dankbar, von dir gerettet zu werden. Mit der Leinenführigkeit hapert es noch etwas, aber mit etwas Training und Hundeschule auch kein Problem. Ach ja, er teilt nicht so gerne, was er draussen findet, aber mit viel Liebe und Zuwendung gehört auch dieses Verhalten bald der Vergangenheit an.
Hast du Interesse, deinen neuen Herzenshund kennenzulernen? Dann rufe doch gleich die Nummer XY an oder melde dich auf Facebook. Weil wir schon so viele BewerberInnen haben, halten wir dir den Hund 12 Stunden lang frei. Dann muss du dich entscheiden.
Der Countdown läuft ab jetzt! Schnell für heute Nachmittag alle Termine absagen und mit der ganzen Familie ins nahe Ausland fahren, um den Hund kennenzulernen.
Die nette Hunderetterin wartet schon am Treffpunkt. Der Zeitplan steht fest: zwei Stunden Gespräch ohne Hund, 15 Minuten Hund kennelernen auf einem Mini-Walk und innert acht Stunden entscheiden. Vier Stunden inklusive Fahrt sind bereits von den 12 Stunden abgezogen.
Alle sind hell begeistert, alle umarmen den Hund. Dieser Hund zeigt auf jedem Foto Meideverhalten. Und ausschauen wie ein Labi-Mix tut er schon gar nicht. Eher wie ein Herdi-Mix. Aber was soll's, Hauptsache einen Hund gerettet.
Es tut mir etwas leid, dass ich so sarkastisch bin. Oder man könnte auch sagen: Ich bin desillusioniert und enttäuscht von den Gutmenschen, die sich mit Sicherheit länger über den Kauf eines neuen Kochherdes informieren, als über ihr mögliches neues Familienmitglied.
Oder sind es nicht Gutmenschen, die ein Tier «retten» wollen, sondern Egoisten, die sich einfach mal schnell einen Hund anschaffen, um sich den Alltag abwechslungsreicher zu gestalten?
In jedem seriösen Ratgeber zum Hundekauf steht GROSS geschrieben, dass man sich nicht unter Druck setzen lassen darf von der «Tierschutz»-Organisation. Dass man sich Zeit nehmen und den Hund mehrmals besuchen gehen soll. Und am besten nimmt man eine neutrale, kynologische Fachperson mit.
Wie kann denn ein hunde-unerfahrener Mensch nur im Ansatz feststellen, ob der Hund tatsächlich zu ihm und in die Stadtwohnung passt? Mit Sicherheit ist Mitleid ein denkbar schlechter Berater.
Was, wenn der Hund tatsächlich nicht passt? Wenn er die Wohnung bewacht und die Kinder ihre SpielkollegInnen nur noch auswärts treffen können? Oder wenn der Hund sich monatelang unter dem Sofa versteckt? Oder wenn er nach drei Tagen sterbenskrank wird und dein Geldbudget langsam an seine Grenzen stösst? Oder wenn er mit dem Stadtleben so gar nicht klarkommt, weil er ein Landei ist?
Am Anfang sagen die Gutmenschen, dass sie ihren Hund so sehr lieben und alles, aber auch alles, für ihn tun werden, egal wie schwierig und frustrierend der Alltag möglicherweise ist.
Bis sie merken, dass ihr geretteter Hund keine Dankbarkeit an den Tag legt und ihnen nicht jeden Tag die Füsse dafür leckt, bei ihnen sein Körbchen zu haben.
Meistens passiert das nach ein paar Wochen. Die Hoffnung auf schnelle Veränderung wird abgelöst durch Ungeduld und Frustration. Der Traumhund wird zur Belastung. Er muss weg, und zwar subito. Leider ist die Tierschützerin gerade im Ausland am Hunde einsammeln oder so sehr in ihr Inserateschreiben vertieft, dass sie deinen Hilferuf nicht hört.
Wie war das nochmals? Wir sind immer für euch da, sollte es Probleme geben. Aber ich bin sicher, der Hund macht keine, weil er so dankbar ist.
Kannst du dir jetzt vorstellen, weshalb die Tierheime aus allen Nähten platzen?
Ehrlich, mit Tierliebe hat das aus meiner Sicht nicht viel zu tun. Da empfehle ich tatsächlich, sich ein Musikinstrument oder ein E-Bike mit Umtauschgarantie zu kaufen.
Möglicherweise brauchst du etwas mehr Zeit für die Auswahl des geeigneten Instrumentes oder Velos, vielleicht musst du auch öfters im Musikgeschäft oder beim Fahrradgeschäft vorbei? Egal, für eine neue Geige, ein neues Klavier oder ein neues E-Bike nehmen wir das gerne in Kauf. Schliesslich hat man das Gerät dann ja ein paar Jahre.
In diesem Sinne:
«Einem Hund ein neues Zuhause zu geben, ist eine Entscheidung fürs Leben und zwar nicht nur für deines.»