
Zwei Menschen nähern sich mit einem blonden Hund
Nach einer Weile kommen zwei Menschen mit einem blonden, mittelgrossen, offensichtlich noch jüngeren Hund daher. Wir wechseln ein paar Worte. Die Energie des blonden Hundes ist auf einer Erregungsskala mittlerweile bei sechs angelangt. Er hibbelt und zerrt an der Leine, welche nicht an einem Brustgeschirr, sondern am Halsband festgemacht ist.
Ob sie ihre Hündin auch ableinen dürfen?
Während wir kurz ein paar Worte wechseln, tanzt die blonde Hündin auf und ab. Panda sitzt ruhig da und tut so, als ob sie die ganze Sache nichts angeht und Ruby schaut etwas skeptisch zu uns herüber. Beide Hunde ohne Leine. Ob sie ihre Hündin auch ableinen dürfe? Wieso nicht, meinte ich, fand es aber insgeheim keine ganz so gute Idee.
Eine geballte Ladung Energie schiesst auf uns los
Vorausahnend, was gleich passieren würde, bringe ich mich schon mal vor Panda in Stellung. Guter Plan, denke ich noch, denn kaum ist die Leine weg, rast die blonde Hündin auf uns zu. Ruby ergreift die Flucht und Panda verharrt stoisch an Ort und Stelle. Die Blonde gibt sich alle Mühe, Panda in ein Spiel zu verwickeln, ohne Erfolg. Panda hat keine Lust auf eine derart aufgeregte Energie und schaut einfach an der Hündin vorbei, als ob sie Luft sei. Nach ein paar Minuten alleinigem Herumgehopse kommt der aufgeregte blonde Hund wieder an die Leine und die Drei gehen weiter mit ihrem immer noch hochgefahrenen Hund.
Wieso flippen die Hunde derart aus, wenn die Leine weg ist?
Beim Heimfahren geht mir diese Szene noch länger durch den Kopf. Wieso flippen so viele Hunde derart aus, wenn sie von der Leine gelassen werden? Leine weg und der Hund stürzt sich ungebremst auf ein Gegenüber, meistens auf ein Vierbeiniges, aber bei gewissen Hundetypen dürfen es gerne auch Zweibeiner sein.
Oder der Leinenkarabiner klickt und der Hund sucht sofort das Weite, als ob ihm sein grösster Feind auf den Fersen ist und er um sein Leben rennen muss.
Was macht dein Hund, wenn du die Leine wegmachst? Rennt der auch gleich los und du siehst ihn im besten Fall ein paar Minuten später wieder, wenn er sich so richtig ausgetobt hat? Woher mag das kommen?
Meine Überlegungen dazu sind die Folgenden:
Der Klassiker in den Welpengruppen
Der Welpe lernt bereits in der Welpengruppe, dass die Leine ihn daran hindert, zu seinen Kumpels zu rennen. Und mit Hindern meine ich tatsächlich eine unangenehme Einschränkung.
Die Welpen werden angeleint in viel zu grosse Ablenkungssituationen gebracht. Und das, bevor sie überhaupt ein entspanntes und ruhiges Gehen an der Leine zeigen können. So werden sie vom Auto an der Leine zum Welpenplatz geführt oder besser gesagt: Die Welpen hängen in der Leine und der Mensch stolpert hinterher. Und dann folgt auf dem Platz die grosse Befreiung: Leine weg und ab die Post, auf zum Kollegentreffen. Auf dem Weg vom Auto zum Hundeplatz steigt die Spannung an. Und der Welpe verknüpft gleich in den ersten Wochen die Leine mit viel Aufregung. Und mit viel Frustration!
Danach folgt der Frust in der Junghundegruppe
Was dann weiter passiert im Junghundekurs in der Gruppe schaut in etwa so aus: Der Welpe hat gelernt, dass nach dem Leinenziehen zum Hundeplatz die grosse Freiheit mit den Kumpels auf ihn wartet.
Im Junghundekurs werden die Anforderungen gesteigert von jetzt auf sofort. Es gibt nicht mehr als erstes ein Freispiel mit den anderen Hunden. Schliesslich soll der junge Hund auch etwas lernen und nicht nur spielen.
Nur: Erkläre das bitte deinem Hund. Dieser hat bereits erfolgreich gelernt, dass er bis zum Hundeplatz zieht und sich aufregt. Und nun soll er auf dem Platz an der Leine ruhig neben seinem Menschen gehen. Was passiert jetzt mit dem Hund? Seine Erregung steigert sich in olympische Höhen und sein Frust dazu.
Das Anleinen zu Kontrollzwecken
Ein weiterer Aspekt kann sein, dass du als Mensch deinen Hund im Alltag nur dann anleinst, wenn es darum geht, ihn kontrollieren zu müssen. Das kann sein, wenn du von zu Hause weggehst. Oder wenn es wieder nach Hause geht, weil da eine Strasse ist.
Gleich zwei Situationen, die für deinen Hund schwierig sind. Die erste, weil dein Hund sich vielleicht zuerst versäubern muss, folglich möglichst schnell zur Pinkelstelle möchte und deshalb aufgeregt an der Leine zieht.
Die zweite, weil dein Hund möglicherweise schon müde oder gar überdreht ist vom Spaziergang, sich aus diesem Grund gar nicht mehr konzentrieren kann und deshalb im Brustgeschirr hängt. Beides nicht dienlich, um das Gehen an der Leine entspannt und freudig zu erfahren. Deswegen empfehle ich immer, während dem Spaziergang öfters ab- und anzuleinen und kleine Strecken bei angepasster Ablenkung und mit viel Motivation zu üben.
Und dann noch die Begegnung auf Distanz
Dann noch ein Klassiker, den du sicher auch öfters schon beobachtet hast. Zwei Mensch-Hund-Teams sehen sich aus der Entfernung. Die angeleinten Hunde haben nur eine Idee im Kopf: möglichst schnell zum Hundekumpel. Die Menschen finden das oft recht nett, weil ihr Hund so gerne andere Hunde hat und geben selber Gas. Meistens rufen sie sich auch noch aufgeregt und laut etwas zu, in der Art: «Dürfen sie spielen? Ist es ein Rüde?» Was einer entspannten Begegnung auch nicht dienlich ist. Im besten Fall gelingt es den Menschen, die Leinen zu lösen, bevor die Hunde aufeinanderprallen. Oft gelingt auch das nicht mehr. Die Hunde verheddern sich in den Biothaneleinen und alles gerät in Aufregung. Was danach passiert, macht das Angeleintwerden nicht attraktiver. Die Hunde werden im Spiel verhaftet und, sofern das gelingt, angeleint und weggezerrt. Die Erregung geht gleich mit.
Die Szenen sind leider Alltag, aber es kann auch anders sein
Ganz ehrlich, würde ich all diese Szenen selten beobachten, würde ich nicht darüber schreiben. Und ganz ehrlich würde es mir sehr viel mehr Freude machen, über diese Art von Begegnungen zu berichten:
Zwei Mensch-Hund-Teams treffen sich zufällig unterwegs. Beide Hunde an der Leine. Die Hunde nehmen sich wahr, die Menschen belohnen ihre Hunde für diese ruhige Kontaktaufnahme aus der Distanz. Während sich die Teams einander nähern, wechseln beide ihre Hunde auf die Aussenseite und belohnen immer wieder ihr ruhiges Gehen. In einem angemessenen Abstand bleiben die Menschen stehen und wechseln ein paar Worte. Die Hunde warten ruhig neben ihren Menschen und werden wieder dafür gelobt. Nach einer Weile dann die Frage, ob die Hunde noch Kontakt haben möchten. Da es für alle passt, leinen die Menschen ihre Hunde ab. Und du darfst dreimal raten: Die Hunde werden nochmals beim Menschen belohnt und dürfen dann einander «Hallo» sagen, sofern sie Lust dazu haben. Was folgt, ist eine ruhige und höfliche Annäherung aus dieser kurzen Distanz, ein Beschnüffeln hinten und vorne, eine Übereinkunft unter den Hunden, ob eine kleine spielerische Interaktion drin liegt. Nach einer Weile verabschieden sich die Teams und die Hunde gehen wieder ruhig mit den Menschen mit.
Es wäre so einfach...
Es wäre so einfach, den Hunden ein anderes Verhalten in Begegnungen beizubringen. Es wäre so einfach, das Gehen an der Leine mit Ruhe und Zufriedenheit zu verknüpfen. Es wäre so einfach, deinem Hund die Chance zu geben, ein höfliches Verhalten zu lernen. Es wäre so einfach, sich darüber Gedanken zu machen, was denn ein junger Hund oder ein Welpe tatsächlich brauchen. Wenn wir uns erlauben würden, dieses Konzept der Übersozialisierung – möglichst viel spielen, möglichst viele Hundekontakte, möglichst viel Aufregung in den ersten Wochen – zu verabschieden.
In diesem Sinne:
«Sei mutig und gehe mit deinem Hund einen neuen, entspannteren und ruhigeren Weg.»